Thema: Medienethik in der Aus- und Fortbildung von Medienberufen
Die Beiträge sind publiziert in
Zeitschrift für Kommunikationsökologie („ZfK“) , Ausgabe 1/2003, 5. Jahrgang, ISSN: 1437-9988
- Debatin, Bernhard; Funiok, Rüdiger (2003): Empfehlungen für das Lehren von Medienethik in Aus- und Fortbildung von Medienberufen. In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie, 5. Jg., H. 1., S. 6-9.
- Leschke, Rainer (2003): Und die Moral von der Geschicht‘? In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie, 5. Jg., H. 1., S. 10-13.
- Funiok, Rüdiger (2003): Wertklärende Gespräche und sozialpädagogische Berufsethik. In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie, 5. Jg., H. 1., S. 13-19.
- Debatin, Bernhard (2003): Können moralische Werte gelehrt werden? In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie, 5. Jg., H. 1., S. 19-23.
- Evers, Huub (2003): Ethik in der Ausbildung von Journalisten und Kommunikationswissenschaftlern in den Niederlanden. In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie, 5. Jg., H. 1., S. 23-26.
- Wunden, Wolfgang (2003): Beraten, vortragen und lehren. In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie, 5. Jg., H. 1., S. 27-30.
- Thomaß, Barbara (2003): Didaktische Methoden der Vermittlung journalistischer Ethik. In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie, 5. Jg., H. 1., S. 30-36.
- Pöttker, Horst (2003): Konzept der Lehrveranstaltung „Berufsethik für Journalisten“. In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie, 5. Jg., H. 1., S. 36-37.
- Hillebrecht, Steffen W. (2003): Medienethik als Gegenstand der Ausbildung zum Verlagsmanagement. In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie, 5. Jg., H. 1., S. 38-40.
- Schicha, Christian (2003): Unterhaltsame Formate als Bausteine der medienethischen Ausbildung. In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie, 5. Jg., H. 1., S. 40-47.
- Knieper, Thomas (2003): Der Journalisten- und Medienfilm. In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie, 5. Jg., H. 1., S. 48-50.
Hinweis: Die Zeitschrift kann bei Dr. Christian Schicha (schicha@ikoe.de, www.ikoe.de, Tel./Fax.: 0203/332153) bestellt werden.
Tagungsbericht
Medienethik – praxisnah
Medienethik in der Aus- und Fortbildung von Medienberufen
Referate und Diskussionen auf der Jahrestagung des Netzwerks Medienethik am 20./21.02.2003 in München
von Margit Huber M.A., Institut für Kommunikationswissenschaft und Erwachsenenpädagogik (IKE) der Hochschule für Philosophie München.
„Medienethik? Oh, das ist heute aber wichtig!“ – In der Öffentlichkeit ruft das Stichwort Medienethik meist verständige Zustimmung hervor, während in Journalistenkreisen, wo sich schnell der Verdacht auf Disziplinierung regt, eher mit skeptischer Zurückhaltung zu rechnen ist. Mit dieser Feststellung eröffnete Prof. Dr. Rüdiger Funiok in der Aula der Hochschule für Philosophie München die dritte gemeinsame Jahrestagung des Netzwerks Medienethik und der DGPuK Fachgruppe Kommunikations- und Medienethik, die am 20./21.02.2003 stattfand.
Wer heutzutage für einen Medienberuf ausgebildet wird, sollte nicht nur lernen, nach welchen Kriterien sich verantwortliches Medienhandeln bestimmten lässt. Er sollte diese Kriterien vor allem berufspraktisch anwenden lernen. Medienethik als selbstverständlicher Bestandteil des Studiums der Publizistik, Journalistik oder Medienwissenschaft – davon sind deutsche Studiengänge noch weit entfernt.
Um ein aktuelles Bild darüber zu gewinnen, wie Medienethik in der Ausbildung von Medienberufen verankert ist, und um sich über didaktische Methoden zu verständigen, die für eine praxisnahe Vermittlung ethikorientierten Medienhandelns tauglich sind, versammelten sich über siebzig teils im Medienbereich oder in der Ausbildung von Medienberufen tätige Medien-, Publizistik- und Kommunikationswissenschaftler aus Deutschland, der Schweiz, Österreich, den Niederlanden und den USA.
Bestandsaufnahme Ausland
Moralische Werte können gelehrt werden: Dafür spricht u.a. der wachsende Stellenwert, den Medienethik seit 25 Jahren in der Journalistenausbildung der Vereinigten Staaten einnimmt. Dort werden, wie Prof. Dr. Bernhard Debatin von der Scripps School of Journalism, Athens (Ohio) ermittelt hat, an 73% der Hochschulen mit entsprechendem Studiengang in Pflichtveranstaltungen ethische Themen behandelt; an deutschen Universitäten ist dies nur zu 31 % der Fall. Nach Auskunft von Dr. Matthias Karmasin (Universität Klagenfurt) ist Medienethik an österreichischen Universitäten institutionell und curricular noch schwächer verankert als in Deutschland. In den journalistischen Studiengängen der Niederlande hingegen sei Ethik als selbständiges Pflichtfach und eigenständiges Programm integriert, gab Dr. Huub Evers bekannt, der an der Fontys Hochschule für Journalistik in Tilburg und an der Universität Amsterdam Medienethik lehrt.
Die Art aber, wie Ethik an US-amerikanischen Universitäten bzw. Medienorganisationen unterrichtet wird – Prof. Debatin sprach von einer praktizistisch vereinfachenden und individualistischen Behandlungsweise – eignet sich schon aufgrund völlig unterschiedlicher Ausgangssituationen nicht als Modell für deutsche Lehrveranstaltungen. Aber auch an der vergleichsweise differenzierten, aber oft theorielastigen Vorgehensweise hierzulande lässt sich vieles verbessern.
Mit welchen Methoden und welcher Zielsetzung wird Medienethik vermittelt?
Mittels Fallstudien aus dem beruflichen Alltag, durch Intensivanalysen, Ethikvorlesungen, studentischen Referaten und schriftlichen Übungen (z.B. dem Verfassen eines Pressekodex), anhand von Diskussionen, und Rollenspielen werden in Übungen und Seminaren ethische Prinzipien erläutert und auf konkrete Prraxisfälle angewendet. Medienethische Lernstrategien zielen auf dreierlei Veränderungen bei den Studierenden ab: auf Schärfung des logisch-analytischen Wahrnehmungs- und Denkvermögens, auf die Stärkung der moralischen Sensibilität und schließlich auf die Sicherheit ethischer Urteilsbildung.
Medienethische Lehrveranstaltungen an deutschen Universitäten
Prof. Dr. Michael Haller (Universität Leipzig) beschrieb das Theorie-Praxis-Dilemma, mit dem Studierende der Journalistik konfrontiert sind : Während die Logik ethischer Prinzipien und Normen wohl begreifbar sei, können ihre Inhalte in den komplexen Zusammenhängen des beruflichen Medienhandelns kaum umgesetzt werden. Das übliche „top-down-Verfahren“, eine abstrakte Norm an den Kasus anzulegen und diesen danach zu interpretieren, scheitere in der Ausbildung von Medienberufen, einmal weil Normen „realitätsblind“ sind, zum anderen, weil deduktive Begründungen von Lernenden als autoritär abgelehnt werden und somit erfolgreiches Lernen verhindern. Dem Ausbildungsziel „Handlungssicherheit durch ethisch reflektierte Praxis“ nähern sich die Studierenden der Journalistik an der Universität Leipzig daher im „bottom-up-Verfahren“ in drei aufeinander aufbauenden Lernphasen: Schon bei der Einführung in journalistisches Handeln (Wahrnehmen, Selektieren, Präsentieren) wird auf die Bedeutung von Normen hingewiesen, danach erfolgt das praktische Einüben journalistischer Handlungsweisen (z.B. Recherchieren) sowie das Erstellen eines Regelwerks, und zuletzt wird Ethik als Metaebene explizit thematisiert.
Die Erkenntnis, dass ethisches Medienhandeln wirksam und nachhaltig nur durch eigene Einfühlung in die fachimmanente Problematik zu erlernen sei, wird an der Universität Dortmund, ähnlich wie in Leipzig in einem dreistufig gegliederten Studiengang umgesetzt: Nach dem viersemestrigen Grundstudium, zu dem auch Ethikvorlesungen gehören, folgt eine intensive Praxisphase in einem einjährigen Volontariat. Daran schließt sich das viersemestrige Hauptstudium an. In einem medienethischen Seminar werden ausschließlich Fälle aus der studentischen Volontariatspraxis behandelt. Für Prof. Dr. Horst Pöttker, der diese Seminare seit Jahren leitet, hat sich gezeigt, dass die zur Urteilsfindung relevanten Normen zu zwei Dirtteln aus der allgemeinen Moral stammen und nur zu einem Dirttel aus der spezifischen jornalisitschen Moral. Aber gerade diese eigenen Normen seien Studenten nicht von selbst einsichutig. Im Kern geht es um den gesellschaftspolitischen Auftrag des Journalismus, für einen möglichst ungehinderten und unbeschränkten Grad an gesellschaftlicher Kommunikation zu sorgen. Die Lehrbarkeit und praktische Umsetzbarkeit ethischer Prinzipien sei ferner an einen positiven Bezug zur dieser „offen legenden“Tätigkeit gebunden: „Man muss Journalismus mögen, um Berufsethik vermitteln zu können.“
PD Dr. Rainer Leschke (Uni Siegen) rechtfertigte seine ausschließlich produktionsanalytische Vorgehensweise mit der Vielfalt von Berufsrollen im gesamten Medienbereich. Die ethischen Grenzdiskurse, die sich aus der medienwissenschaftlichen Gegenstandsanalyse ergeben, seien zum Lehren und Lernen von allgemeiner Medienprofessionalität geeignet: Durch genreüberschreitendes Aufdecken und Hinterfragen informell transportierter Normen wecken sie Interesse an der Entstehung von Normen, dienen der Bewusstseinsentwicklung für das Funktionieren von Normen, lassen ein Gespür für Risikoabschätzung entstehen und unterstützen so das Einüben von Techniken des moralischen Handelns in bestimmten Situationen.
Didaktische Anleihen aus Erwachsenenbildung und Medienpädagogik
Mit einem breiten Methodenspektrum für nachhaltiges und praktisch umsetzbares Lernen im Fach Medienethik wartete PD Dr. Barbara Thomaß (Universität Hamburg) auf. In ihrem Vortrag über kognitive und verhaltensorientierte Methoden bei der Vermittlung journalistischer Ethik unterstrich sie die Vorteile eines ganzheitlichen, verhaltensnahen Lernkonzepts. Lernen mit Kopf, Herz und Hand entspreche der Rückbindung der moralischen Urteilsbildung an das praktische Handeln und eigne sich deshalb gut für den Medienethikunterricht an Hochschulen. Ihre Auswahl aus der Vielfalt der Vermittlungsmöglichkeiten betonte vor allem Methoden mit hohem Anteil studentischer Eigenaktivität sowie Methoden mit hoher emotionaler Involviertheit der Studierenden.
Einblicke in die medienethische Unterrichtspraxis
Zwei parallele Panelsitzungen boten Gelegenheit, sich eingehend über praktizierte Methoden in der universitären Jouurnalisten-Ausbildung zu informieren. Anhand von authentischen Materialien ließ sich ein intensiver fachlicher Austausch origineller Seminarkonzepte: Journalistenfilme, triviale Formate, Werbung, problematische Überschriften und Bilder als Objekte medienethischer Analyse, Videoszenen aus der journalistischen Alltagspraxis.
In einem dritten parallelen Panel wurde die Rolle von Medienethik in einem Traineeprogramm zum Verlagsmanagement (der Mediendienstleistungsgesellschaft München) beleuchtet. An der Hochschule der Medien in Stuttgart-Vaihingen erfahren medienethische Fragen eine vergleichsweise ausführliche Behandlung, mit starker studentischer Beteiligung. Die Reflexion auf die Berufsmoral innerhalb der einjährigen Ausbildung an der Bayerischen Akademie für Fernsehen muss umso gezielter erfolgen je weniger Zeit für sie möglich ist.
Obwohl die Diskussionen in der Mittagspause weitergeführt wurden, reichte die Zeit kaum aus, um den hohen Bedarf an Information und Gespräch zu decken.
Schlussplenum: Was hat’s gebracht?
Den Mitgliedern des Netzwerks Medienethik ging es in erster Linie um Grundsätzliches wie die Sicherung des Ethikanteils in der Ausbildung aller Medienberufe. Mit der Tagung wurde eine gute Voraussetzung dazu geschaffen. Der fachliche Erfahrungsaustausch erbrachte eine Verständigung über die zentralen Ziele und geeigneten Methoden. So vermochte die Tagung des Netzwerks Medienethik verstärkte Anregungen für die Entwicklung und Stärkung der ethischen Reflexivität in Medienberufen zu geben. Man war sich einig: Medienethik will keine zusätzlichen Lasten aufbürden, sondern dazu beitragen, einen klaren Kopf zu bewahren und nicht in Zynismus, Gleichgültigkeit oder Opportunismus zu verfallen.
Wie geht es weiter?
Als Ergebnis der Tagung sollen Empfehlungen für das Lehren von Medienethik in der Aus- und Fortbildung von Medienberufen und zusammengestellt werden. Diese Empfehlungen und die Referate werden voraussichtlich im Herbst 2003 veröffentlicht, und zwar in einem Themenheft der „Zeitschrift für Kommunikationsökologie“, hrsg. vom Institut für Informations- und Kommunikationsökologie e.V., Duisburg.
Das nächste Jahrestreffen findet am Donnerstag 19. und Freitag 20. Februar 2004 wieder in München statt zum Thema „Medien und globale Konflikte“. Der genaue Titel und der Call for Papers wird spätestens Mitte September 2003 bekannt gegeben.
Informationen auf der Website des Netzwerks Medienethik: www.netzwerk-medienethik.de