Die Silvesternacht in Köln – medienethische Überlegungen

In der Silvesternacht wurden Frauen sexuell belästigt bis hin zur Vergewaltigung – in Köln, aber auch in Hamburg und Stuttgart. Die Fakten kommen langsam ans Tageslicht, die Interpretationen finden aber bedeutend schneller Verbreitung in der bundesweiten Berichterstattung. Ein Versuch, Diskurse zu diesem Ereignis medienethisch zu analysieren.

Die sexuellen Übergriffe werden verknüpft mit den Themen Kriminalität, Geflohene bzw. Migranten, Frauen und verhandelt in miteinander verschränkten Diskursen zu Asyl, Integration, innere Sicherheit, Strafrecht, Sexismus. Journalist_innen haben in dieser Gemengelage die Pflicht, zu informieren – eine Pflicht, die ihre Grenze dort findet, wo die Menschenwürde verletzt wird. Das ist ein medienethischer Abwägungsprozess, der professionelles Handwerk wie seriösen Faktencheck voraussetzt.

Diskurse zu Kriminalität, Asylrecht, innere Sicherheit

„Null Toleranz gegenüber kriminellen Ausländern“ – das ist der dominierende Tenor in Statements aus der Politik, in der Berichterstattung und vielen Kommentaren. Diese Perspektive bedient vor allem die  Diskurse zu Kriminalität, Asylrecht, innere Sicherheit. Da es sich bei den Tätern nach bisherigen Erkenntnissen um junge nordafrikanische, alkoholisierte Männer handelt, lautet die Forderung, das Asylrecht so zu ändern, dass straffällige Flüchtlinge und Migranten schneller abgeschoben werden können. Eine scheinbar einfache Lösung, die latent rassistischen Ressentiments in der Bevölkerung geschuldet ist. Sie lässt aber viele Fragen offen, die in anderen Diskursen thematisiert werden.

Etwa zur inneren Sicherheit: Der erfolgreiche Polizeieinsatz bei der Pegidademonstration am 9. Januar in Köln bestätigte, dass die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht auch durch mangelnde  Personalausstattung und fehlerhafte Kommunikation der Ordnungskräfte ermöglicht wurden. Polizeigewerkschaften fordern deshalb mehr Geld und Personal, um die innere Sicherheit zu gewährleisten. Das ist zwar teurer als eine Verschärfung des Asylrechts, würde aber nicht nur Gewalttaten von „Ausländern“ eindämmen, sondern auch von Pegida-Anhänger_innen, Hooligans und anderen „Einheimischen“.

Sexismusdiskurse

Und da setzt der Sexismusdiskurs ein. Für betroffene Frauen macht es wohl keinen Unterschied, ob der „Busengrapscher“ ein junger Nordafrikaner oder ein alter deutscher Bierbauch ist. Um diese Belästigungen zu verhindern, hilft nur ein verschärftes Sexualstrafrecht, das die Union bisher blockierte. Nach dem Referentenentwurf vom Juli 2015 soll z. B. „Busengrapschen“ nicht mehr „unter der Erheblichkeitsschwelle“ liegen und straffrei bleiben. Wäre das bereits geltendes Recht, könnten übergriffige Flüchtlinge auch auf dieser Grundlage ausgewiesen werden.

Dieser Diskurs knüpft an die Sexismusdebatte von 2013 an, in deren Verlauf vor allem Postings zum #Aufschrei zeigten, wie schnell aus einem „Kavaliersdelikt“ wie sexueller Belästigung eine Vergewaltigung werden kann. Eine Sexualstrafrechtsverschärfung wäre ein Signal, wie ernst bundesrepublikanische Wertvorstellungen von der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau genommen werden – im Sinne von mehr Respekt vor der Würde des Menschen, gleich welchen Geschlechts oder welcher Herkunft.

Integrationsdiskurs

Das käme auch dem Integrationsdiskurs zugute, der im Zusammenhang mit dem Thema „Köln“ aktualisiert wird. Nicht nur fordern und drohen, sondern auch fördern, wertschätzend aufeinander zugehen, die vielen professionellen und ehrenamtlichen Integrationshelfer_innen unterstützen, damit kein Geflohener ausgegrenzt wird. Doch dafür braucht man inhaltliche Konzepte, Geld und langen Atem, keinen populistischen Aktionismus.

In einer verantwortungsethischen Berichterstattung geht es m. E. nicht um die Frage, ob „politisch unkorrekte“ Fakten verschwiegen oder genannt werden. Vielmehr gilt es, Äußerungen von Politiker_innen nicht ungeprüft wiederzukäuen, sondern einzuordnen, denn die jeweiligen Rahmungen haben Folgen. Sie können Interessen einzelner Gruppen bedienen und latenten Rassismus, diffuse Ängste schüren oder demokratische Aushandlungsprozesse zu Menschenrechten und respektvollem Miteinander befördern. Journalist_innen haben da mehr Einfluss und mehr Verantwortung als viele denken!

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