„Nicht der Humor ist es, der sich vor der Religion, sondern die Religion ist es, die sich vor dem Humor zu rechtfertigen hat.“ So fasst Ernst Cassirer die Thesen des Earls of Shaftesbury zusammen, eines englischen Philosophen des frühen 18. Jahrhunderts. Der Earl war Anglikaner, und im damaligen England gab es viele andere christliche Strömungen, etwa die Puritaner und die Quäker. Letztere hießen auch Shaker, weil sie angeblich Visionen empfingen und sich dabei schüttelten. Dazu kamen vertriebene französische Hugenotten, die permanent vor dem drohenden Weltuntergang warnten. Dem Earl ging das ziemlich gegen den aufgeklärten Strich. Doch er wusste: Ein staatliches Verbot würde sie nur in ihrem Märtyrertum und ihrer Überzeugung bestätigen. Stattdessen führte er den test of ridicule ein. Man sollte sie einem Test der Lächerlichkeit unterziehen. Aber nicht aus genereller Ablehnung ihres Glaubens, nicht, um sich aus Prinzip über alles und jedes lustig zu machen. Nein, was sinnvoll und gut an ihrer Lehre sei, das würde den Test bestehen, alles andere könne getrost der Lächerlichkeit preisgegeben werden. „Die Wahrheit kann jedes Licht vertragen“, schreibt der gute Mann. Auch wenn das Licht bisweilen grell und bunt ist, warum sollten es die Religionen fürchten?
Eine wohl very british humour Variante des katholischen Prinzips fides et ratio. Glaubensinhalte sollten durch die Vernunft begründbar sein, und umgekehrt.
Die obskuren Handlungen der Quäker und französischen Reformierten hatte er damit bloß gestellt. Zur Verteidigung der Quäker möchte ich nur sagen, dass diese Gruppe, so sonderbar sie damals auch gewesen sein mag, mit zu den ersten gehörte, die die Sklaverei kategorisch abgelehnt hat. Und enorm zu ihrer Abschaffung beitrug. Manchmal sind es halt auch die vermeintlich religiösen Spinner, die für die Menschenrechte einstehen, und nicht die Aufklärer.
Einen test of ridicule, das hat die Zeitschrift Charlie Hebdo des Öfteren durchgeführt. Und war damit wohl ein gefährlicherer Gegner als die französischen Militärs, die in Nordafrika gegen die Islamisten kämpfen. Die Feder scheint mächtiger als das Schwert, das fürchten auch die Männer, die mit ihren langen Messern und Gewehren wohl irgendetwas kompensieren müssen. Ihre Art der Wahrheit kann das Licht offensichtlich nicht vertragen. Natürlich war dieses Licht nicht nur für Islamisten, sondern auch für andere Menschen ehrabschneidend, verletzend, kränkend, geschmacklos und bisweilen nicht einmal besonders lustig. Es wurden ja schließlich genauso andere Religionen, Künstler, Politiker usw. karikiert. Dennoch waren die Zeichner und Redakteure unterwegs, um Licht ins Dunkel zu bringen, um Missstände in unserer Gesellschaft aufzudecken. Somit war es ein Dienst an uns allen.
Freilich, Mohammed hat auch zum Schwert gegriffen um seine Lehre zu verbreiten, wie auch seine Nachfolger. Allerdings hatte es unter späteren islamischen Herrschern und Gelehrten durchaus kritische Töne zu Mohammed gegeben, eine gewisse aufgeklärte Tradition ist vorhanden. Ebenso gibt es bildliche Darstellung dieses Propheten, etwa aus dem 15. Jahrhundert, sogar in Afghanistan. An diese Tradition können die Muslime durchaus anknüpfen, v.a. weil sie aus einer Zeit stammt, als es den übermächtigen „Westen“ noch gar nicht gab und diese Aufklärung nicht von außen kommt. Ein historisch-kritisches Mohammed-Bild wäre durchaus angebracht.
Und wer wird nun wieder Aufwind bekommen? Natürlich wird es Wasser auf die Mühlen der Pegida-Anhänger geben. Zu diesen Leutchen aus dem Tal der Ahnungslosen habe ich mich ja schon geäußert. Auch sie wollen sich nicht dem test of ridicule aussetzen, ja nicht einmal ihre Wahrheit dem Licht der Fakten. Immer diese bösen Mainstream-Medien und die Lügenpresse. Aber dafür schwenken sie schön die Russlandfahne. Ein Land, in dem kritische Stimmen entweder mit Lagerhaft, oder eben auch mit Waffengewalt zum Schweigen gebracht werden.
Satire hat Tradition
Dabei ist es gar nicht einmal ein Phänomen der Aufklärung, die Religion der Lächerlichkeit zu unterziehen. Schon der Apostel Paulus schreibt davon, dass die Christen in den Augen anderer Narren wären, weil sie an die Auferstehung glaubten. Und wie verrückt erscheint uns heute noch das „die andere Wange hinhalten“. Anscheinend haben diese Vorstellungen durch alle Kriege, Seuchen und Hungersnöte hinweg den Test bestanden. Der Ökumenische Rat der Kirchen lobte gar schon 1968 in seiner Schrift „Die Kirchen und die Medien der Massenkommunikation“ „die Komödie und die Satire […] die die Freiheit“ priesen. „Es ist ein Grund für demütige Dankbarkeit, dass soviel schöpferische Kraft und Fähigkeit verfügbar ist“. Gute Worte, die katholische Kirche zitierte in einer eigenen Schrift diese Stelle, ließ aber die Satire leider unter den Tisch fallen. Aufregen, ja das darf und soll man sich auch über Satire. Aber klagen? Vor einem irdischen Gericht? Wenn Fakten verdreht oder falsch dargestellt werden ok, aber ansonsten sollte man den Urteilsspruch dem Lieben Gott überlassen. Sonst reißt man am Ende noch den Weizen mit dem Unkraut aus… Der historisch und humanistisch Interessierte kann zu diesem Thema im „Lob der Torheit“ von Erasmus von Rotterdam weiterlesen. Generell über Christentum und Humor das Buch „Between Heaven and Mirth“ von James Martin S.J., dem inoffiziellen Seelsorger der US-Satiresendung „Colbert Report“.
Im Alten Testament gibt’s haarsträubende Episoden, und das Neue Testament ist durchaus eine Herausforderung. Hier finden wir einen Beispieltest of ridicule im Buch „Die Bibel und ich“.
Zur Zeit der Reformation (wie auch im 9. und 10. Jahrhundert) kursierten Spottschriften gegen den Papst in Rom, und von katholischer Seite natürlich gegen den „Martin Luther Siebenkopf“, der meine, alles zu können, und doch nur heiße Luft produziere. Das waren alles Flugschriften, also Vorgänger des Charlies, allerdings natürlich mit Stoßrichtung nur auf eine Seite, und nicht als Rundumschlag gegen sämtliche Missstände. Es wäre interessant zu erfahren, wie die jeweilige Obrigkeit mit diesen Flugschriften umging, vielleicht kann das ein historisch versierter Leser ergänzen? Erasmus von Rotterdam schien keine größeren Nachteile durch seine Schrift „Julius exclusus e coelis“ gehabt zu haben. Darin schildert er einen satirischen Dialog zwischen dem kriegerischen Papst Julius II. und Petrus, der ihm den Eintritt in den Himmel verweigert wegen dessen fürchterlichen Lebenswandels.
Sogar die Atheisten müssen sich diesem Test unterziehen. So mokierte sich kürzlich die „Daily Show“ über einen Atheistenverband. Was war geschehen? Ein Schnellimbiss in den USA hatte einen Rabatt gewährt, wenn die Gäste vor dem Essen beteten oder Danke sagten. Der Atheistenverband verglich dies mit Rassismus und Völkermord. Verständlich wie der Test ausgefallen ist, sogar ausgeführt von einem Reporter, der selbst Atheist war.
Selbst an Kirchen finden wir bisweilen Karikaturen. Wir sehen am Portal des Bamberger Domes ein Relief, auf dem Bischöfe, ein König und sogar ein Papst höllischen Dämonen wegen ihres Lebenswandels entgegen gehen müssen. Zwei brave Mönchlein aber dürfen sich auf den Himmel freuen. Die Gesichter sind ziemlich übertrieben dargestellt. Eine jahrtausendealte Karikatur, die immerhin den Stellvertreter Gottes auf Erden zum Teufel schickt, in Stein gemeißelt, angebracht an einer Kirchentür im angeblich so dunklen Mittelalter.
Ob in der Antike, im Mittelalter, zu Zeiten der Aufklärung oder in der Gegenwart, die Religionen haben den Satirikern immer Stoff geliefert, umgekehrt kann das Licht der Komik der Religion nützen.
Ein Schlusssatz? Fällt mir in dieser Lage nicht leicht. Aber ich kenne jemanden, der dazu die richtigen Worte gefunden hat: Ein anderer Charly, ein großer Diktator.
Der Text ist in veränderter Form zuerst hier erschienen.